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SACHENMACHERS BRIEF ÜBER RESPEKT VOR KÜNSTLERN
AN FLORIAN STEININGER,
DEN KURATOR DER "FRIDA-KAHLO-RETROSPEKTIVE"
IM KUNSTFORUM BANK AUSTRIA WIEN
From: <geronimo.enterprises@gmx.at>
To: <f.steininger@bankaustria-kunstforum.at>
Sent: Wednesday, September 29, 2010 9:13 PM
Subject: Frida Kahlo
(BISLANG UNBEANTWORTET)
         Sehr geehrter Herr Mag. Steininger!
    Vor einiger Zeit las ich online auf orf.at folgende Zeilen in einem Vorab-Bericht über die Frida-Kahlo-Ausstellung im Kunstforum:
        "Das Geschäft mit der Kunst der Frida Kahlo
      Ihre Arbeiten sind aus dem zeitgenössischen Kunstbetrieb nicht wegzudenken, in ebenso vielfältiger Weise werden ihr Name und Konterfei aber auch anderweitig verwendet und verwertet. "Ich glaube nicht, dass man mit einer Kulturikone Mexikos Stiefel, Unterwäsche oder Tequila verkaufen sollte. Sie hat nie texanische Stiefel getragen, aber sie werden verkauft. Wahrscheinlich kommen als nächstes Jo-Jos", kritisierte Olmedo. Auch Steininger glaubt, dass sich im Falle Kahlos Kunst und Kult überlagern: "Das ist auch bei Klimt oder Warhol der Fall, dass diese kultische Aufladung hin in den Kommerz überhandnimmt." Man könne diese Aufmerksamkeit auch nutzen, um wieder auf die Kunst selbst hinzuweisen, so Steininger. "Aber es wird auch unheimlich viel Trashiges erzeugt. Da docken sich Putzerfische an diese Heiligen an, um auch mitnaschen zu können."
        Ich konnte nicht umhin, mich in das Forum einzuloggen und ein paar Zeilen dazu zu hinterlassen:
     "Klimt, Warhol, Kahlo... Lieber Herr Steininger, Künstler als "Heilige" zu bezeichnen, anstatt sie als Menschen aus Fleisch und Blut zu sehen, ist nach meinem Gefühl mehr Übergriff als wenn irgendein "Putzerfisch" (was für eine Bezeichnung :-)) kitschige Hommagen auf Kaffeehäferln oder T-Shirts verbreitet. Man mag das geschmackvoll finden oder nicht - diese Künstler sind jedenfalls kein alleiniger Besitz einer selbsternannten Kenner-Elite. Und der kommerzielle Aspekt interessiert den renommierten Galeristen oder Museumsbetreiber auf seine Art genau so sehr wie den kleinen Andenkenhändler. Also bitte nicht so arrogant und scheinheilig nach "unten" hacken (wobei die Anführungszeichen seeeehr bewusst gesetzt sind). Ich bin fast sicher, mindestens zwei der drei oben Genannten würden das genau so sehen :-)"
      So weit mein Posting auf orf.at. Da war ich allerdings noch nicht in Wien gewesen und konnte noch nicht ahnen, was nach dem Besuch der Ausstellung zu ergänzen sein würde... zum Beispiel unter anderem dies:
         Es mag ja durchaus sein, dass Frida Kahlo nie texanische Stiefel getragen hat, zumindest wurde sie von Herrn Olmedo persönlich offenbar nie mit solchen Stiefeln gesehen. Abgesehen von dieser Quelle wissen wir es aber nicht genau und im Grund ist es auch egal. Mit absoluter Sicherheit jedenfalls hat sie nie ein Mousepad verwendet, höchstwahrscheinlich auch keine Kühlschrankmagneten. Und das sind nur zwei der kitschigen Artikel mit Frida-Portrait, denen ich vergangenen Freitag im Shop des Kunstforums begegnet bin, neben Frida-Einkaufstaschen, Frida-Polsterbezügen, Frida-Halstüchern, Frida-Notizbüchern... Vielleicht war da noch mehr. Ich habe die Flucht ergriffen.
         Aber interessieren tut es mich doch: Wie darf ich das Ganze jetzt eigentlich verstehen? Etwa so: Die edlen europäischen Museums-Shops dürfen das - aber die kleinen mexikanischen Andenkenhändler, einfache Leute aus Fridas ureigenem Volk, die dürfen nicht? Das sind dann "Putzerfische", die "mitnaschen". Sagt wer? Sie, oder Herr Olmeda, oder der liebe Gott? Stiefel und Tequila sind trashiges Zeug, Kühlschrankmagneten und Einkaufstaschen dagegen... tja, was eigentlich? Einer "Heiligen" würdig?
Was für eine Arroganz, was für eine Scheinheiligkeit, was für eine Selbstherrlichkeit, was für ein Zynismus!
     Derselbe Zynismus übrigens, mit dem über ein nie vollendetes, von der Malerin selbst ganz offensichtlich verworfenes weil absolut misslungenes Bild verfügt wird, ein Bild, das sie selber ganz sicher NIEMALS für eine Ausstellung freigegeben hätte. Der aufgelöste Malstil sei dem Drogen- und Alkoholkonsum aus Fridas letzter Zeit zu verdanken, höre und lese ich da. Was für ein Mangel an Sensibilität, was für eine unglaubliche Respektlosigkeit!
         Da ist also ein Bild daneben gegangen, das passiert jedem Maler, auch dem größten, ab und zu. Sie hat es erkennbar zerkratzt, verwischt, erfolglos zu übermalen versucht, schließlich ganz bleiben lassen, nie mehr fertig gestellt, vielleicht sogar vergessen, wer weiß. Aber dann zieht irgendein übergriffiger Hinterbliebener den Ausschuss aus Fridas Müll hervor, erfindet dazu eine haarsträubende Geschichte und die internationale Kunstmarktschickeria stürzt sich darauf wie ein Rudel Hyänen auf einen halbverwesten Kadaver und verbreitet den mitgelieferten Interpretations-Schwachsinn eifrig weiter.
     Das erinnert mich frappant an eine Anekdote über Joseph Beuys, der irgendwann in irgendeinem Museum irgendwo hingespuckt haben soll - woraufhin tagelang diskutiert wurde, ob man das nun jemals wieder wegwischen darf oder nicht. Ob die Geschichte stimmt, weiß ich nicht, aber als Metapher für die hirnrissige "Heiligen"betrachtung der modernen Kunst"experten"szene ist sie geradezu maßgeschneidert.
       Frida Kahlo war menschlich. Sie hat beileibe nicht nur wunderbare, vollkommen gelungene Bilder gemalt und gezeichnet. Kein Maler der Welt kann das. Ganz sicher hat sie auch in ihren besseren Zeiten ganz ohne Alkohol oder Drogen den einen oder anderen Ausschuss produziert, alles andere wäre übermenschlich, nur hatte sie halt bei diesem letzten daneben gegangen und schließlich zu Recht verworfenen Bildversuch vielleicht nicht mehr die Kraft, das Ding ordentlich zu entsorgen. Eine Ausstellung hätte sie selber wie schon gesagt mit absoluter Sicherheit damit nicht beliefert. Woher also nehmen Sie - oder welche anderen eigentlichen "Putzerfische" auch immer - das Recht dazu?
     Dass Sie die wirklich großen und nicht zufällig bekanntesten Werke nicht alle für Wien bekommen konnten, wirft Ihnen niemand vor. Aber bei all dem Material, das Ihnen zur Verfügung stand, wäre an der einen oder anderen Stelle (und vor allem an der oben beschriebenen) etwas weniger eindeutig mehr gewesen, einfach aus Respekt vor einer Künstlerin, die sich nicht mehr wehren kann.
      Ich hatte mich so sehr auf die Ausstellung gefreut, zumal mich die Kraft von Frida Kahlos Originalen schon an Ort und Stelle in Mexico zutiefst beeindruckt hatte. Und ich bin so traurig und zornig wieder fort gegangen, fast den Tränen nahe, mit einem Pfui-Teufel-Gefühl, das ich kaum beschreiben kann.
     Denn glauben Sie mir: Jede Frida-Unterhose an einem mexikanischen Andenkenstand drückt mehr Respekt vor dieser grandiosen Frau aus als die Leichenfledderei der Kunstmarkthyänen, die den Hals nicht voll genug bekommen können (aber sich dann in heiliger Selbstgerechtigkeit darüber aufregen, dass auch andere ihre Hände nach Ikonen ausstrecken, auf die doch sie, die Hyänen, das alleinige Recht gepachtet zu haben glauben). Es ist so offensichtlich. Haben Sie das wirklich nicht gesehen?
      Herzliche Grüße
      Carlos Anglberger